Architekturikonen: Alexandrowka – ein russisches Dorf mitten in Potsdam
Rustikale Blockhütten mit verzierten Fassaden: 1826 entstand ein idyllisches russisches Dorf, das eigentlich fast ein frühes Disneyland ist…
Im Norden von Potsdam ist Deutschland so russisch wie Russland selbst es nie war. 13 traditionelle russische Blockhäuser, reich verziert mit Schnitzereien stehen hier beisammen, jedes mit einem riesigen Obstgarten dahinter; manche protzen mehrstöckig und prächtig, andere ducken sich kleiner am Rand. Hier verkauft einer Gurken, da einer Äpfel. Im Café dazwischen gibt es Soljanka. Gebaut wurden diese Häuser im Jahre 1826. Authentisch waren sie nie.
Höchstselbst arbeitete der König mit Peter Joseph von Lenné an den Plänen für die Siedlung, einem Hippodrom, durchschnitten von einem Andreaskreuz; die Häuser stehen sich teils gegenüber, teils in großen Abständen.
Jeder Sängersoldat erhielt ein eigenes Haus mit komplettem Hausstand bis hin zum Topf, einem riesigen Obst- und Gemüsegarten, und eine Kuh obendrauf. Steuern wurden erlassen. Die Idee also war nobel; nur funktionierte sie nicht. Die Soldaten waren keine Bauern, sie konnten sich nicht selbst versorgen; es wurde viel getrunken, es gab noch mehr Bettelbriefe. Bald erlaubte man den Sängersoldaten, ihr Geld anders zu verdienen: Sie begannen, Zimmer zu vermieten an die Berliner, die in der Sommerfrische in eine andere, folkloristische Welt fliehen wollten.
Jeder Sängersoldat erhielt ein eigenes Haus mit komplettem Hausstand bis hin zum Topf, einem riesigen Obst- und Gemüsegarten, und eine Kuh obendrauf. Steuern wurden erlassen. Die Idee also war nobel; nur funktionierte sie nicht. Die Soldaten waren keine Bauern, sie konnten sich nicht selbst versorgen; es wurde viel getrunken, es gab noch mehr Bettelbriefe. Bald erlaubte man den Sängersoldaten, ihr Geld anders zu verdienen: Sie begannen, Zimmer zu vermieten an die Berliner, die in der Sommerfrische in eine andere, folkloristische Welt fliehen wollten.
Hinter jedem Haus erstreckt sich eine großzügige Nutzfläche, mit der die Sängersoldaten sich selbst versorgen sollten.
Aber dass die Siedlung sozial nicht funktionierte, ist nicht ihr einziges Kuriosum. Letztlich hat die Anlage etwas von Disneyland; ist kein russisches, sondern ein potemkinsches Dorf: Die Blockhäuser sind gar keine, sondern Fachwerkbauten mit Holzverschalung. Die Schnitzereien sind nicht bäuerlich traditionell, sondern entspringen eher den romantischen Ideen des 19 Jahrhunderts; ihr Vorbild ist ein anderes Retortendorf in der Nähe von St. Petersburg: Glasovo. Noch nicht einmal die schöne Fassadengliederung ist authentisch oder nur praktisch: wo ein Haupteingang angedeutet ist, geht es meist gar nicht rein – sondern an der Seite. Dafür geht es auf die Veranden nicht immer raus.
Nicht zufällig baute König Ludwig II etwas später auch Neuschwanstein, eine idealisierte Ritterburg: die Romantik, die Idealisierung des Ländlichen ebenso wie des Mittelalters prägten die Zeit und ihre Künste. Mehr als für Russland steht Alexandrowka also für die Epoche, in der es entstand.
Nicht zufällig baute König Ludwig II etwas später auch Neuschwanstein, eine idealisierte Ritterburg: die Romantik, die Idealisierung des Ländlichen ebenso wie des Mittelalters prägten die Zeit und ihre Künste. Mehr als für Russland steht Alexandrowka also für die Epoche, in der es entstand.
Während manche Häuser prächtig und zweistöckig sind, kommen andere (besonders jene am Rand) bescheidener daher. Das Prinzip aber ist das gleiche: vorgetäuscht wird Blockhausbau und traditionsreiches Dekor; geliefert Fantasie.
Auf einem Hügel über der Siedlung thront, in süßem Rosa, die russisch-orthodoxe Alexander-Newski-Gedächtniskirche, die mit der und für die Siedlung entstand. Drinnen funkeln russische Ikonen, es riecht nach Weihrauch und Männerchöre singen vom Band. Ursprünglich gab es eine Sichtachse hinunter zur Siedlung, die heute zugewuchert ist.
Denn es ging eine Weile gut mit Alexandrowka und den Touristen, bald aber ging es immer schlechter. Zwar wurde das Ensemble schon zu DDR-Zeiten unter Denkmalschutz gestellt, richtig erhalten wurde es nicht. Einige Häuser nahmen Schaden, die Anlage verwilderte, wurde zugebaut mit Schreberschuppen. Später wäre beinahe eine Straßenbahnlinie durchgezogen worden, heute umkreist sie die Siedlung.
Nach der Wende entdeckten denkmalpflegerische Initiativen die pseudo-russische Siedlung. In einem der Häuser wurde ein Museum eröffnet, die alten Pläne Lennés wieder ausgegraben, 574 alte Obstsorten neu angepflanzt. Im prächtigen Haus des Aufsehers ist heute ein Café; die meisten Gebäude werden privat bewohnt – in dreien lebten 2013 gar noch Nachfahren der Sängersoldaten (seit jeher durften die Häuser nicht verkauft, sondern nur in direkter männlicher Linie weitervererbt werden).
Heute ist Alexandrowka also wieder eine herausgeputzte Idylle; und an heißen Sommertagen schiebt sich manchmal ein viel zu breiter Reisebus über die meist so leeren langen Straßen des Andreaskreuzes. Ansonsten scheint die Zeit hier stehengeblieben. Es ist eben nur eine Zeit, die es so gar nicht gab.
Mehr Info auf der Webseite des Museum Alexandrowka >>>
Nach der Wende entdeckten denkmalpflegerische Initiativen die pseudo-russische Siedlung. In einem der Häuser wurde ein Museum eröffnet, die alten Pläne Lennés wieder ausgegraben, 574 alte Obstsorten neu angepflanzt. Im prächtigen Haus des Aufsehers ist heute ein Café; die meisten Gebäude werden privat bewohnt – in dreien lebten 2013 gar noch Nachfahren der Sängersoldaten (seit jeher durften die Häuser nicht verkauft, sondern nur in direkter männlicher Linie weitervererbt werden).
Heute ist Alexandrowka also wieder eine herausgeputzte Idylle; und an heißen Sommertagen schiebt sich manchmal ein viel zu breiter Reisebus über die meist so leeren langen Straßen des Andreaskreuzes. Ansonsten scheint die Zeit hier stehengeblieben. Es ist eben nur eine Zeit, die es so gar nicht gab.
Mehr Info auf der Webseite des Museum Alexandrowka >>>
1812 hatte der preussische König 62 russische Soldaten gefangen genommen und nach Potsdam gebracht. Es heißt, ihre melancholischen Gesänge rührten ihn, sie wurden sein Soldatenchor, zogen mit dem preussischen Heer, unterhielten es „mit Gesang und Tamburin und kleinen Glöckchen”. Als Russland und Preussen dann Freunde wurden, blieben sie am königlichen Hof in Potsdam – der Zar machte sie Friedrich Wilhelm zum Geschenk. Für das verbliebene Dutzend Männer entstand Alexandrowka. Ein Ensemble rustikaler Blockhausbauten, verziert mit ornamentalen Zierbrettern, Giebelfahnen, Zahnschnittfriesen. Dieser Giebel gehört zum prächtigsten Haus in der Mitte der Siedlung – es gehörte dem Aufseher der Kolonie.