Manufakturbesuch: Ein Leben für die Keramik – Hedwig Bollhagen
Hedwig Bollhagen entwarf Alltagsgeschirr jenseits des Alltäglichen. In der Marwitzer Manufaktur wird es seit 1934 unverändert hergestellt
Inspiriert vom Bauhaus und Deutschen Werkbund entwarf Hedwig Bollhagen ab den 1930er Jahren Keramiken, die bis heute noch mit ihren zeitlos schönen Formen und Dekoren begeistern. Künstlerin aber sei sie nicht, sie mache „doch nur olle Töppe“, betonte Hedwig Bollhagen stets. Jene „Töppe“ werden bis heute im brandenburgischen Marwitz hergestellt – und zwar noch genauso wie vor 82 Jahren. Die HB Werkstätten verstehen sich als Manufaktur, in der „Unikate in Serie“ hergestellt werden; und zwar teilweise von noch durch Bollhagen ausgebildete Kunsthandwerker. Hedwig Bollhagen – von den Mitarbeiten bis heute liebevoll HB genannt – sah ihre Keramiken als Alltagsgeschirr abseits jeglicher Alltäglichkeit an. Wir haben die traditionsreiche Manufaktur besucht, bei der feinsinnigen Arbeit über die Schulter geblickt und das Lieblingsdekor der berühmten Marwitzer Tonmeisterin ausgegraben.
Fotos: Kate Jordan
Fotos: Kate Jordan
HBs Keramiken sind von großer Vielfalt – es gibt Vasen, Teller und Schüssel, Keksdosen, Salzstreuer und Krüge.
Was viele nicht wissen: Gelegentlich fertigte HB auch Bau- und Gartenkeramik an – etwa Teile für den zerstörten Giebelfries am Ischtator im Pergamon Museum in Berlin. „Ihr Herz aber hing immer am Geschirr“, so Björn Schremmer, stellvertretender Werkstattleiter.
„Selbst mit 90 Jahren stand HB morgens noch als erste in der Werkstatt und prüfte mit strengen Blick, ob auch alle Punkte, Striche und Gravuren am richtigen Platz waren. Ihre Leidenschaft, für das was sie tat war stets ungebrochen – in den Vordergrund aber stellte sie sich nie“, so Schremmer. „HB war bescheiden, die Keramik ihre große Liebe.“ Ihre Entwürfe hat HB selten auf Papier gemalt, sie hatte immer einen Rohling zur Hand, mit dem sie in ihrer blau-weiß karierten Schürze über das Firmengelände spazierte und auf dem sie Ideen festhielt.
Was viele nicht wissen: Gelegentlich fertigte HB auch Bau- und Gartenkeramik an – etwa Teile für den zerstörten Giebelfries am Ischtator im Pergamon Museum in Berlin. „Ihr Herz aber hing immer am Geschirr“, so Björn Schremmer, stellvertretender Werkstattleiter.
„Selbst mit 90 Jahren stand HB morgens noch als erste in der Werkstatt und prüfte mit strengen Blick, ob auch alle Punkte, Striche und Gravuren am richtigen Platz waren. Ihre Leidenschaft, für das was sie tat war stets ungebrochen – in den Vordergrund aber stellte sie sich nie“, so Schremmer. „HB war bescheiden, die Keramik ihre große Liebe.“ Ihre Entwürfe hat HB selten auf Papier gemalt, sie hatte immer einen Rohling zur Hand, mit dem sie in ihrer blau-weiß karierten Schürze über das Firmengelände spazierte und auf dem sie Ideen festhielt.
„HB wohnte auf dem Grundstück der Manufaktur in einem kleinen Nebenhäuschen. Auch ein kleines Atelier hatte sie sich dort eingerichtet“, so Schremm. „Ihre langjährigen Mitarbeiter waren wie eine Familie für sie. Sie selbst blieb zwar kinderlos, ihre Manufaktur aber führte sie stets mir mütterlicher Liebe.“
Auf dem Grundstück in der Hedwig-Bollhagen Straße Nummer 4 in Marwitz befindet sich heute nicht nur die traditionsreiche Manufaktur aus rotem Klinker. Auch ein neu gestalteter Verkaufsraum lockt Kenner, Sammler und neue Liebhaber der Hedwig Bollhagen-Keramik.
Auf dem Grundstück in der Hedwig-Bollhagen Straße Nummer 4 in Marwitz befindet sich heute nicht nur die traditionsreiche Manufaktur aus rotem Klinker. Auch ein neu gestalteter Verkaufsraum lockt Kenner, Sammler und neue Liebhaber der Hedwig Bollhagen-Keramik.
Das älteste von ihr entworfene Dekor ist das „Fadenkaro“ von 1934/35. Die filigrane Streifengebung in blassem Rot und Blau sind bis heute zeitlos schön. Die Formen ihrer Keramiken sind streng, klassisch – nie verspielt.
Beeinflusst wurden ihre Entwürfe unter anderem durch die jahrezehntelange Freundschaft mit Maler und Bildhauer Charles Crodel und die Zusammenarbeit mit Bauhausschülern wie Theodor Bogler und Werner Burri.
Beeinflusst wurden ihre Entwürfe unter anderem durch die jahrezehntelange Freundschaft mit Maler und Bildhauer Charles Crodel und die Zusammenarbeit mit Bauhausschülern wie Theodor Bogler und Werner Burri.
Das blockgestreifte Dekor „Blau-Weiß“ wurde 1945 entworfen. Es ist von Bäuerlichem ebenso wie vom Bauhaus inspiriert und gehört zu den meistverkauften Dekoren der Manufaktur, erzählt Schremmer.
Das aparte Dekor „HB Ritz“ entsteht durch feines, manuelles Ritzen. Dabei wird noch vor dem Schrühbrand eine dunkle Farbschicht, die Engobe, auf die Scherben aufgetragen, in die dann in Sgraffitotechnik feine Punkte, Linien und Netzornament geritzt werden. Eine aufwändige Technik, die aber am Ende nicht nur schön anzuschauen, sondern auch haptisch ein besonderes Erlebnis ist.
Alle Stücke der Manufaktur (hier im Dekor „HB Ritz“ auf elfenbeinfarbenem Grund) werden nach den überlieferten Vorlagen von HB nach wie vor von Hand gedreht oder gegossen.
Es ist ein ganz eigener Geruch, der einem in der dreigeschossigen Keramikwerkstatt entgegenströmt: Warm, trocken, erdig. „Keramiker lieben diesen Duft nach Tongemisch. Nach ein paar Wochen Urlaub freuen wir uns immer wieder richtig darauf“, schwärmt Schremmer.
Ton aus dem Westerwald wird hier gerade mit Wasser gemischt und dreht vier Stunden lang in einem alten Rührwerk aus den Dreißigern seine Runden, bis ein Schlicker entsteht. Anschließend wird das Gemisch in eine mit Leinentüchern bespannte Presse gegeben, wo es ruhen kann und zu Presskuchen geformt wird. Dort „maucht“ die Masse schließlich, bis genügend Luft entwichen ist.
Ton aus dem Westerwald wird hier gerade mit Wasser gemischt und dreht vier Stunden lang in einem alten Rührwerk aus den Dreißigern seine Runden, bis ein Schlicker entsteht. Anschließend wird das Gemisch in eine mit Leinentüchern bespannte Presse gegeben, wo es ruhen kann und zu Presskuchen geformt wird. Dort „maucht“ die Masse schließlich, bis genügend Luft entwichen ist.
Bis aus einem Tongemisch die berühmte Keramik wird, braucht es zahlreiche Schritte. „Bis zu 60 mal wird jede einzelne Keramik in die Hand genommen“, erzählt Schremmer. „Und erst nach dem zweiten Brand steht auch fest, ob das Ergebnis den strengen Qualitätsanforderungen gerecht wird.“
Hier trägt gerade ein Mitarbeiter das Tongemisch zu einem alten Paternoster, in dem das Material zur Dreherei befördert wird.
Hier trägt gerade ein Mitarbeiter das Tongemisch zu einem alten Paternoster, in dem das Material zur Dreherei befördert wird.
In der Dreherei entstehen aus den „Hubeln“ beim Eindrehen oder Überdrehen Vasen, Schalen Teller und Tassen. Jedes Teil ist ein handgefertigtes Unikat. Bis es zum Feinschliff nochmals auf der Drehscheibe landet, trocknet die Keramik drei Tage.
Für das Formen vom Tellern, Tassen, Schalen und anderen „runden“ Keramiken hängen Schablonen an der Wand.
In der Gießerei nebenan entstehen Kannen, Krüge und Butterdosen – all jene Keramiken, die eine unregelmäßige Form aufweisen und nicht auf der Scheibe gedreht werden können. Hierfür wird flüssiger Ton verwendet, der in die gezimmerten Gipsformen gefüllt wird. „Hohlgüsse finden so ihre Formgebung. Der Ton der an den Innenwänden der Form haften bleibt, bildet den Rohling für die spätere Keramik“, sagt Schremmer.
In die Putzerei kommen alle gegossenen und gedrehten Rohlinge. Seit über vier Jahrzehnten werden sie dort von Elke Oldenburg behandelt, raue Stellen werden geglättet. „Keramiker ist ein Beruf, der auf Erfahrung basiert“, sagt Schremmer. „Die Jungen lernen von den Alten – und selbst die lernen nie aus.“
In der Putzerei werden die Rohlinge auch nochmals von Unfeinheiten, Nähten und Kanten befreit. Tassen werden hier mit Henkeln garniert, Knöpfe an Deckel gepresst.
Von der Dreherei und Putzerei werden die Rohlinge zum ersten Brand gebracht, dem Schrühband. Fünf Stunden dauert es, bis alle Stücke so auf dem Wagen platziert sind, dass sie nicht anecken und beim Brand beschädigt werden. Der Brennvorgang dauert schließlich sieben Stunden in einem 1000 Grad heißen Ofen. Beim zweiten Brand dauert der Vorgang noch einmal 60 Minuten länger und der Ofen wird auf 1090 Grad erhitzt. „Bevor die Keramiken aber dem Ofen entnommen werden, bleiben sie 48 Stunden darin, da es sonst zu Sprüngen kommen kann“, sagt Schremmer.
Die abgekühlten Keramiken werden nach dem ersten Schrühbrand im Tauchbad oder mit einer Spritzpistole glasiert. „Die flüssige Glasur trocknet schließlich einige Zeit auf den Scherben, bevor sie ein zweites Mal gebrannt werden“, so Schremmer.
Hier warten Stücke aus der Gussform und von der Drehscheibe – schon glasiert und teilweise mit schwarzer Engobe – auf den zweiten Brand.
Pinselstrich für Pinselstrich entsteht in der Dekormalerei schließlich ein Unikat. Jeder Handgriff, jeder Punkt und jeder Strich sitzt hier perfekt – hier gerade ein Teller mit dem Dekor „Vergissmeinnicht“. Die meisten Malerinnen haben das feinsinnige Handwerk und die Präzision noch von Hedwig Bollhagen persönlich erlernt.
„Es gibt aber nicht nur Keramiken mit Dekor. Ganz in Weiß ist die Serie ‚000‘. Die mochte auch HB besonders gern. Reduziert auf Formen und die Eleganz von Keramik, fand man bei ihr privat zuhause fast nur dieses Service vor“, erzählt Schremmer. „Sie wollte damit ihrer Keramik auch ohne Ornamente die Ehre geben.“
„Es gibt aber nicht nur Keramiken mit Dekor. Ganz in Weiß ist die Serie ‚000‘. Die mochte auch HB besonders gern. Reduziert auf Formen und die Eleganz von Keramik, fand man bei ihr privat zuhause fast nur dieses Service vor“, erzählt Schremmer. „Sie wollte damit ihrer Keramik auch ohne Ornamente die Ehre geben.“
Damit ihre Mitarbeiter mit den besten Mitteln arbeiten konnten, zog HB öfter persönlich los, fuhr über Nacht nach Dresden um neue Pinsel aus Dachs- oder Marderhaar zu besorgen. „Pinsel waren in der DDR Mangelware“, erzählt Schremmer und ergänzt lachend: „Heute gibt es aber genügend Pinsel in den verschiedensten Größen und Borstenstärken.“
Hier wird gerade die Signatur der HB Werkstätten mit sicherer Hand in die Keramik geritzt.
Hedwig Bollhagens Entwürfe sind allgegenwärtig. Mitarbeiter trinken ihren Kaffee selbstredend aus HB-Keramiken und zeigen damit ihre Verbundenheit mit dem Unternehmen. Ebenso stecken Pinsel und andere Werkzeuge in Schalen der Manufaktur – hier in einer bauchigen Schüssel mit dem Dekor „Blau-Weiß“.
„Unsere Arbeit bedeutet immer dem Geist und den Ideen von Hedwig Bollhagen zu folgen. Sie hat uns so viel hinterlassen. Der Dachboden der Manufaktur gleicht einer Schatzkammer. Die Mengen an Muster und Formen warten nur darauf umgesetzt zu werden“, erzählt Schremmer. „In unseren Werkstätten arbeiten heute noch Keramiker, die ihr Handwerk von unserer Gründerin persönlich erlernten. Durch sie wird das Wissen immer weiter getragen.“
Für ihre Keramiken hat Hedwig Bollhagen zahlreiche Anerkennungen erhalten. Noch zu Lebzeiten erhielt sie 1937 die Goldmedaille auf der Weltausstellung in Paris. 2006 wählte sie das Goethe-Institut posthum zu den „sieben besten Designern Deutschlands“. 2015 wurde HB in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes aufgenommen. HB Werkstätten – eine Manufaktur, die Designklassiker kreiert: gestern wie heute.
Mehr Bilder aus der Manufaktur
Die HB-Werkstätten sind Montag bis Samstag von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Zu finden in der Hedwig-Bollhagen-Straße 4 in Oberkrämer/Marwitz. Werkführungen sind nach Absprache möglich.
Originale, noch von HB eigens geformte Keramiken, kann man im Ofen- und Keramikmuseum in Velten bestaunen.
Mehr Manufakturbesuche und Porträts interessanter Kunsthandwerker
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Die HB-Werkstätten sind Montag bis Samstag von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Zu finden in der Hedwig-Bollhagen-Straße 4 in Oberkrämer/Marwitz. Werkführungen sind nach Absprache möglich.
Originale, noch von HB eigens geformte Keramiken, kann man im Ofen- und Keramikmuseum in Velten bestaunen.
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Was HB nie wollte, war modische Verkaufsschlager herzustellen; dem Industriekitsch sagte sie damit den Kampf an. Ihre Keramiken sollten schlicht, zeitlos und streng sein. Bezahlbares Gebrauchsgeschirr, das von Hand gefertigt, bemalt und graviert ist. Das war das Konzept, mit dem sie schließlich 1934 ihre Keramikwerkstatt in Marwitz in den stillgelegten Haël-Werkstätten, nördlich von Berlin, gründete. Damals war HB gerade einmal 27 Jahre alt.
1972 wurde der Betrieb in der DDR verstaatlicht, Hedwig Bollhagen behielt aber die künstlerische Leitung. 1992 wurden die Werkstätten durch Hedwig Bollhagen wieder privatisiert. Bis zu ihrem Tod hatte HB das künstlerische Sagen in der Manufaktur. Danach übernahm ihre langjährige Freundin und Künstlerin Heidi Mathey die Leitung.