Alt und Neu verbunden: Die gelungene Sanierung eines Dreiseithofs
Geschichte hört nie auf: Dieser Hof erzählt vom Mittelalter und mittelalten Bausünden. Nun vermittelt Glas zwischen Fachwerk und Faserbeton
Die alte rheinhessische Hofreite liegt mitten im Ortskern von Saulheim, einem Weindorf in der Nähe von Mainz in Rheinland-Pfalz. Der aus dem 16. Jahrhundert stammende Dreiseithof besteht aus einem Haupthaus und mehreren Nebengebäuden. Insgesamt ist das Gelände mit Garten rund zweitausend Quadratmeter groß. Nachdem es längere Zeit leer stand, haben es ein Arzt und seine Frau, Tierärztin, erworben und umgebaut. Für die Planung haben sie den Architekten Daniel Morber engagiert. Er kennt sich mit der Sanierung denkmalgeschützter Bauten bestens aus. Den rustikalen Charakter des denkmalgeschützten Fachwerkhauses hat er bei der behutsamen Restaurierung erhalten, das Kelterhaus aus den siebziger Jahren in ein modernes Gegenstück verwandelt und beide Gebäude mit einem Glasanbau verbunden.
Es gibt keinen Windfang. Wer das Fachwerkhaus betritt, steht vielmehr direkt in der großen Wohnküche. Wie früher spielt sich auch heute ein Großteil des Lebens hier ab. Die sechs Meter lange, maßgefertigte Küchenzeile aus Mineralwerkstoff zieht sich über die gesamte linke Haushälfte bis in den Neubau.
Auf der rechten Seite des Erdgeschosses befinden sich das Büro des Hausherrn, eine Gästetoilette und die Garderobe.
Auf der rechten Seite des Erdgeschosses befinden sich das Büro des Hausherrn, eine Gästetoilette und die Garderobe.
Im Fußboden ist dank einer stabilen Verglasung der Blick auf den alten Abgang in ein weitläufiges Fluchttunnelsystem frei. „Der Hausherr interessiert sich sehr für Geschichte. Dieses Tunnelsystem wurde wohl im vierzehnten Jahrhundert angelegt“, so Morber. „Das Fachwerkhaus verfügt über den tiefsten Keller des Ortes. Von hier gab es Verbindungen zur Wehrkirche und zur Schule. Im zweiten Weltkrieg beispielsweise fanden die Schüler bei Fliegeralarm hier im Keller Schutz.“ Heute gibt es nur noch vom Weinkeller unter dem Kelterhaus einen Zugang zum Tunnel.
Die Küche als Mittelpunkt des Wohnens strahlt Gemütlichkeit aus. Die entsteht zum einen durch einen Kachelofen, den Morber nach altem Vorbild neu errichten ließ. Zum anderen durch die Leseecke am Kachelofen. Ein paar Bücherregale und Sitzsäcke auf dem Boden laden zum Schmökern und gemütlichen Lümmeln ein.
Gegenüber der Eingangstür liegt die Treppe in die oberen Stockwerke. „Der untere Wohnbereich wurde früher herrschaftlich genutzt. Nach oben führte nur eine schmale Stiege. Das entspricht in keiner Weise modernem Wohnkomfort“, erläutert Morber. Er hat stattdessen eine zweiläufige Treppe aus fünfzehn Millimeter starkem Rohstahl einbauen lassen.
„Der Stahl ist direkt aus dem Walzwerk geliefert worden, ohne Beschriftung und ohne Kratzer“, wie Morber betont. Er hat besonders hochwertigen Rohstahl verwendet, der zum Schutz vor Kratzern und Korrosion gewachst wurde. Die knapp sechs Tonnen schwere Treppe wurde direkt vor Ort zusammengeschweißt. Sie zieht sich über zwei Stockwerke bis ins Dachgeschoss. Ein gelungener Kontrast von alt und modern.
Dem aufwendigen, oft unruhig wirkenden Fachwerk und den Bruchsteinwänden setzt Morber Purismus beim Innenausbau entgegen. Im Schlafzimmer mit En-Suite-Bad hat er einen Teil der Fachwerkfüllung entfernen lassen. So konnte er den kleinteiligen Grundriss erhalten und doch Weite schaffen.
Das Schlafzimmer ist durch eine halbhohe Wand vom En-Suite-Badezimmer getrennt.
Und auch zwischen Waschbecken und Badewanne gibt es nur eine halbhohe Wand, zurückhaltend in Grau gestrichen.
Bei einer lichten Höhe von nur 2,3 Metern musste die Dusche bodengleich eingebaut werden (nicht im Bild, sie liegt gegenüber vom Waschtisch). „Der Bauherr ist knapp zwei Meter groß. Alles andere wäre einfach unmöglich“, so Morber.
In den übrigen Räumen des Obergeschosses sind ein Ankleide- und ein Arbeitszimmer sowie ein weiteres Bad untergebracht.
Bei einer lichten Höhe von nur 2,3 Metern musste die Dusche bodengleich eingebaut werden (nicht im Bild, sie liegt gegenüber vom Waschtisch). „Der Bauherr ist knapp zwei Meter groß. Alles andere wäre einfach unmöglich“, so Morber.
In den übrigen Räumen des Obergeschosses sind ein Ankleide- und ein Arbeitszimmer sowie ein weiteres Bad untergebracht.
Das Dachgeschoss ist ein einziger, großer Wohnraum. Hier gibt es inzwischen eine Bibliothek und Platz für Yoga.
Über Dachflächenfenster zum Garten hin kommt viel Helligkeit in den Raum. „Wir konnten den alten Dachstuhl erhalten und haben nur die Fenster eingesetzt“, sagt Morber.
VORHER: „Das Fachwerkhaus ist ein Einzeldenkmal. Es war aber baulich stark mit der ehemaligen Kelterei aus den siebziger Jahren verbunden“, so Morber. Durch Rückbauten hat er das Haus wieder freigestellt.
NACHHER: Heute wirken beide Gebäude für sich. Mit einer neuen Verkleidung aus Faserbetonplatten unterstreicht Morber den Unterschied zwischen Alt und Neu, rustikal und modern.
Zur Hofseite hin haben weder Fachwerk- noch Kelterhaus in der Dachfläche Aufbauten oder Fenster. Die Dachflächen dienen als Ruhepol zum recht lebendigen Fachwerk.
Zur Hofseite hin haben weder Fachwerk- noch Kelterhaus in der Dachfläche Aufbauten oder Fenster. Die Dachflächen dienen als Ruhepol zum recht lebendigen Fachwerk.
Ein neuer, luftig wirkender Glasanbau bildet nun den Übergang von Alt und Neu, verbindet die ehemalige Kelterei und das Fachwerkhaus. In diesem Glasanbau ist das Esszimmer untergebracht, am Ende des langen Küchenblocks. Durch das Glas fällt viel Licht in den Raum, und da er zu beiden Gebäudeteilen hin offen ist, verbesserten sich auch dort die Lichtverhältnisse.
Im Erdgeschoss des schwarzen Kelterhauses hat Morber bodentiefe Fenster eingebaut. Was von der Gartenseite wie ein Obergeschoss mit ebenfalls bodentiefen Fenstern wirkt, ist das eigentliche Dachgeschoss. Morber hat auf der dem Garten zugewandten Seite die ursprüngliche Dachneigung belassen. Auf der Hofseite hingegen hat er die Schräge dem angrenzenden Schuppen und dem Fachwerkhaus angepasst, um das Kelterhaus im Gemenge des Gesamtensembles optisch zurückzunehmen.
Im Erdgeschoss des schwarzen Kelterhauses hat Morber bodentiefe Fenster eingebaut. Was von der Gartenseite wie ein Obergeschoss mit ebenfalls bodentiefen Fenstern wirkt, ist das eigentliche Dachgeschoss. Morber hat auf der dem Garten zugewandten Seite die ursprüngliche Dachneigung belassen. Auf der Hofseite hingegen hat er die Schräge dem angrenzenden Schuppen und dem Fachwerkhaus angepasst, um das Kelterhaus im Gemenge des Gesamtensembles optisch zurückzunehmen.
Von dem Glasanbau aus sind die Räume der ehemaligen Kelterei zu erreichen. Eine Treppe führt nach oben, eine andere nach unten.
Im Obergeschoss des Kelterhauses sind auf achtzig Quadratmetern ein Kinderzimmer, ein Bad und ein Hobbyraum untergebracht.
Im Obergeschoss des Kelterhauses sind auf achtzig Quadratmetern ein Kinderzimmer, ein Bad und ein Hobbyraum untergebracht.
„Das Kelterhaus ist puristisch in Weiß gehalten. Die Einbauten sind alle flächenbündig gefertigt, ebenso die Türen, Sockelleisten und Einbauleuchten“, erklärt Morber. Diesen sehr nüchternen Stil hat er als Kontrast zum rustikalen, eher gröberen Fachwerkhaus gewählt.
Wenige Treppenstufen führen vom Glasanbau (man sieht oben das Ende der Kücheninsel und den Essplatz) in das Erdgeschoss des Kelterhauses. Hier ist das offizielle Wohnzimmer mit offenem Kamin. Wo ehemals Scheunentore waren und landwirtschaftliche Fahrzeuge direkt von der Hofseite in die Kelterei hinein- und auf der Gartenseite wieder herausfahren konnten, gibt es heute bodentiefe Fenster. Der alte Betonfußboden wurde mit einem neuen, zehn Zentimeter dicken Betonestrich verstärkt und abgedichtet.
Unter der ehemaligen Kelterei liegt ein Gewölbekeller. Er besteht aus zwei Weinkellern, die beide von der Hofseite aus zugänglich sind. Im größeren Weinkeller lagert weiterhin Wein. Von hier gehen auch die alten Fluchttunnel ab. Im kleineren ist heute die Gebäudetechnik untergebracht. Das Haus wird über einen Pelletofen geheizt, der die Fußbodenheizungen speist. „Besonders im Fachwerkhaus war die Fußbodenheizung eine Herausforderung“, erzählt Morber. „Wir haben eine spezielle platzsparende Lösung verbaut.“ Auch die Kabelführung im Fachwerkhaus war keine leichte Aufgabe. Schließlich hatte sich Morber vorgenommen, die gesamte Haustechnik unsichtbar zu machen. Wenn die Kabelführung nicht verdeckt werden konnte, hat er Textilkabel eingesetzt und Lichtschalter aus Bakelit verwendet.
IM ÜBERBLICK
Unter der ehemaligen Kelterei liegt ein Gewölbekeller. Er besteht aus zwei Weinkellern, die beide von der Hofseite aus zugänglich sind. Im größeren Weinkeller lagert weiterhin Wein. Von hier gehen auch die alten Fluchttunnel ab. Im kleineren ist heute die Gebäudetechnik untergebracht. Das Haus wird über einen Pelletofen geheizt, der die Fußbodenheizungen speist. „Besonders im Fachwerkhaus war die Fußbodenheizung eine Herausforderung“, erzählt Morber. „Wir haben eine spezielle platzsparende Lösung verbaut.“ Auch die Kabelführung im Fachwerkhaus war keine leichte Aufgabe. Schließlich hatte sich Morber vorgenommen, die gesamte Haustechnik unsichtbar zu machen. Wenn die Kabelführung nicht verdeckt werden konnte, hat er Textilkabel eingesetzt und Lichtschalter aus Bakelit verwendet.
IM ÜBERBLICK
Im Erdgeschoss hält sich die Familie den größten Teil des Tages auf. Hier wird gelesen, gekocht und gegessen; hier werden auch Gäste empfangen und bewirtet.
In den Obergeschossen der beiden Gebäude sind Schlafzimmer, Bäder und Arbeitszimmer untergebracht.
Das Dachgeschoss des Fachwerkhauses ist ein großer Mehrzweckraum.
Im Zuge der Sanierung wurden auch die Nebengebäude instand gesetzt. Den Schuppen möchte sich der Bauherr als Werkstatt einrichten. Für die Scheune gibt es noch keine konkreten Pläne.
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Hier wohnen: eine Tierärztin mit ihrem Mann, Arzt, und dessen dreizehnjährigem Sohn
Auf: 360 Quadratmetern Wohnfläche mit einer Grundstücksgröße von 2000 Quadratmetern
In: Saulheim, Rheinland-Pfalz
Experte: Daniel Morber Architekten
Fotos: Frank Schuppelius
Der Hanglage des gesamten Geländes mit einem Höhenunterschied von rund fünf Metern hat das alte Fachwerkhaus sein imposantes Aussehen zu verdanken. Es sitzt am höchsten Punkt des Innenhofes, der über eine große Toreinfahrt am Eck zu erreichen ist. Das heute denkmalgeschützte Haus diente seit jeher dem Wohnen. So sollte es auch bleiben. Vor dem Einzug der kleinen Familie gab es allerdings einiges zu tun. Mit der Bausubstanz des Hauses aus dem Jahr 1540 stand es nicht zum Besten. „Vor allem das Holz des Fachwerks war in einem schlechteren Zustand, als es auf den ersten Blick schien“, erinnert sich Morber. Dennoch konnte er den ursprünglichen Grundriss der Fachwerk- und Bruchsteinwände erhalten. Der Haupteingang liegt, wie seit Jahrhunderten, direkt dem Hof zugewandt. Mit einer neuen Natursteinmauer terrassierte Morber den Platz vor dem Hauseingang und unterstrich so die exponierte Lage des Fachwerkhauses und sein repräsentatives Aussehen.
Links ist die modernisierte Kelter zu sehen.